Beschwerde-Chöre, Tellervo Kalleinen und Oliver Kochta-Kalleinen, KV Ludwigshafen

Singen ist ein Ventil

Beschwerde-Chöre im Kunstverein Ludwigshafen

bis 30.6.2019

Wenn man mit etwas unzufrieden ist und sich mitteilen möchte, dann braucht man eine Stimme und man muß Gehör finden. Genau diesen Ansatz verfolgen die Finnin Tellervo Kalleinen und der Dresdner Oliver Kochta-Kalleinen mit ihren Beschwerde-Chören. Über die ganze Welt verteilt haben sich seit 2005 in Städten Menschen zusammengefunden, die ihren Ärger, Frust und ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen. Sie machen das zusammen in einer Gruppe und mit Hilfe der Musik.

Blick in die Ausstellung

Das deutsch-finnische Künstlerpaar hat zunächst in den ersten Jahren dieses fortdauernden Projekts die Leitung und Organisation der Chöre übernommen, eine echte logistische Herausforderung. 2005 in Birmingham hat sich der erste Beschwerde-Chor gefunden. Zum damaligen Zeitpunkt war es aber nicht klar, dass sich dieses Projekt zu einer Art Selbstläufer weiterentwickeln konnte bzw. sollte. Das Video des ersten Beschwerde-Chors wurde aber so oft auf Youtube angeklickt, dass sich viele weitere Städte meldeten, um es dem Vorreiter Birmingham gleich zu tun.

Das Grundprinzip der Beschwerde-Chöre ist partizipatorisch angelegt, jeder kann mitmachen und jeder kann sein Anliegen, seine Beschwerde einbringen. So entstehen dann – oft mit Unterstützung von professionellen Musikern – Chorstücke, die ein Ventil des Unmuts und der persönlichen Missfallenskundgebung sind. Die Lieder können bereits existierende Musikstücke sein, denen lediglich einer „neuer Liedtext“ unterlegt wird oder es sind Neukompositionen, die als Träger der Beschwerdebotschaften fungieren. Die Größe der Chöre variiert, vom Ein-Mann-Chor in Kanada bis zum 150 Personen umfassenden Chor in Köln. Jeder Chor bestimmt dann auch selbst, wann und vor allem wo er auftreten möchte.

„Die Flughafen-Security hat mein Mundwasser einbehalten…Autofahrer sind nur gut im Hupen…Es wird viel debattiert aber nichts getan…Meine Mutter sorgt sich zuviel…Gestern war die Bedienung sehr unfreundlich zu mir…Wann werde ich genug Schlaf finden?…Ich habe keine Zeit mein Leben zu planen…Männer sind immer vage und zögerlich…Warum sind wir immer mit etwas unzufrieden?…Das ehemals ruhige Stadtzentrum wird immer lauter?…Warum verliere ich schon mit 25 meine Haare?…Alles verliert seinen Glanz, wenn man näher kommt…Mein geschiedener Ehemann lebt immer noch in Chicago…Wenn eine Schwangere in den Zug kommt, tun alle so, als ob sie schliefen.“ (Textauszüge aus den gesungenen Beschwerden)

In der Ausstellung im Ludwigshafener Kunstverein sind Videos von 11 Beschwerde-Chören zu sehen und natürlich auch zu hören. Die etwa 8-10 Minuten dauernden Videos werden nacheinander abgespielt und machen den Ausstellungsraum zu einem Klangraum. Es sind ganz unterschiedliche Projekte, aus unterschiedlichen kulturellen Regionen und mit unterschiedlichen musikalischen Ansätzen. Was in Hamburg und St. Petersburg wie Straßenmusik wirkt, erhält in Chicago eher einen philharmonischen Rahmen. In Singapur, wo der Chor nicht öffentlich im Freien auftreten durfte, wird das Video in einer Art Vorlesungssaal gedreht mit choreografierten Zügen. Weitere in der Ausstellung zu sehende Beschwerde-Chöre sind aus Kopenhagen, Tokio, Teutonia, Berlin und Dresden.

Auch in Ludwigshafen wird es die Möglichkeit geben selbst mitzusingen. Dort wartet man mit der Weltneuheit auf, dass es zum ersten Mal vier Beschwerde-Chöre geben wird, an denen man aktiv teilnehmen kann. Im Vorfeld der Ausstellung wurde der erste Chor bereits ins Leben gerufen, mittels eines Workshops gecoacht und er hat auch schon fleißig geprobt. Zur Ausstellungseröffnung hatte der „Chor der Ludwigshafener Studis“ schon zwei Auftritte gehabt. Drei weitere Chöre werden in Workshops auf ihren öffentlichen Auftritt vorbereitet. Außerdem sind Flashmobs geplant, über die Homepage des Ludwigshafener Kunstvereins kann man Informationen dazu erhalten. In Zusammenarbeit mit der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft und den Musikern Coco SaFir, Roland und Bernhard Vanecek sollen ein „Chor der Arbeit“ (Workshop am 4. und 5. Mai), ein „Chor der Wohnungssuchenden“ (Workshop am 8. und 22. Mai) und ein „Chor der Artenvielfalt“ (Workshop am 14. und 15.6.) auf den Weg gebracht werden und singend ihren Beschwerden Luft verschaffen.

Aufgerufen sind alle, wirklich alle, Voraussetzung ist eigentlich nur, dass man eine Beschwerde hat und diese vorbringen möchte. Wie in allen bisherigen Chören auch, können hier professionelle Sänger mit ambitionierten Laien und völlig Unmusikalischen zusammen agieren. Diese Ausrichtung der Chöre ist von Anfang an genau so gewollt und die Videos in der Ausstellung dokumentieren dies auch. Unabhängig von Geschlechtern, Klassifizierungen oder Tätigkeiten kann jeder seiner Stimme Gehör verleihen. und genau so verhält es sich auch mit den Beschwerden: Banales trifft auf Politisches und allgemeines auf Familiäres. Jede Beschwerde bekommt in diesem Projekt eine Bühne und gerade dieses Miteinander von individuellen und gesellschaftsrelevanten Beschwerden macht einen besonderen Reiz aus. Nicht nur das Miteinander des Singens im Chor, sondern auch die Verbundenheit und das Nachvollziehenkönnen des Beschwerdetextes eint die teilnehmenden Sänger und es reißt auch den Zuhörer mit, der sich mit den Beschwerden und Sängern verbunden fühlt.

Informationen grundsätzlicher Art finden sich auf:

www.complaintschoir.org

Informationen zu den Ludwigshafener Beschwerde-Chören finden sich bei:

www.kunstverein-ludwigshafen.de

Kunstverein Ludwigshafen, Bismarckstr. 44-48, 67059 Ludwigshafen

Di-Fr 12-18 Uhr, Sa + So 11-18 Uhr

Submit a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.