Seit Jahren schon ist die im Odenwald lebende und arbeitende Künstlerin mit ihren Werken auf der ART Karlsruhe vertreten und dort war dann auch der erste Kontakt zu Sieglinde Gros. Daraufhin trafen wir die Holzbildhauerin in ihrem Atelier im Zentrum Michelstadts, in direkter Nachbarschaft zum Stadtmuseum. Hier hat sie uns eintauchen lassen, in ihre Welt der Hölzer, Kettensägen und Schnitzwerkzeuge.
Die Holzskulpturen von Sieglinde Gros sind geprägt von einer charakteristischen Formensprache. Sie sind roh behauen oder gesägt, die Arbeitspuren sind sichtbarer Teil ihrer Wirkung und die Formensprache ist dicht und geschlossen, auf den Stammdurchmesser des Holzes beschränkt. Die Figuren sind aus einem Stück Holz herausgearbeitet. Eigentlich jede Holzsorte wird von Sieglinde Gros bearbeitet, es müssen aber Laubhölzer sein. Sie bevorzugt dabei Harthölzer, die in der Bearbeitung mühsamer aber auf gewisse Weise dankbarer sind. Ihre kurzen Fasern lassen Kanten und Werkspuren entstehen, die klarer und prägnanter sind als dies bei Weichhölzern der Fall ist.
Das tägliche Brot des Holzbildhauens ist hart, es gilt schwere Holzstämme herum zu wuchten, sie mit der Kettensäge zu bearbeiten und dann die Feinarbeit mit Schnitzeisen herauszuhauen. Es ist echtes, wirkliches Handwerk, welches auf Muskelkraft beruht. Holz ist ein organischer Werkstoff, es bedarf einiger Erfahrung und Materialkenntnis, um mit ihm zu gestalten. An der Maserung lässt sich der Faserverlauf ablesen, was bei einer materialgerechten Bearbeitung wichtig ist. Bei der Einschätzung der Werkstücke gilt es auch nach Fehlern im Holz Ausschau zu halten: nach Ästen, Pilzbefall, Insektenbefall, Frostschäden, Verwerfungen und Rissen. Hat sich Sieglinde Gros für ein Stück oder einen Stamm entschieden, nimmt der gestalterische Ablauf seinen immer gleichen Lauf. Von allen Seiten wird das Werkstück beäugt und begutachtet, es entstehen vorbereitende Skizzen und mittels Hilfslinien werden die groben Volumina außen an der Stammgrenze angezeichnet. Ist das geschafft, startet der bildhauerische Werkprozess.
Die Figuren kennzeichnet eine grob belassene Oberfläche, keine Glättung und keine Betonung der Maserung lenkt davon ab. Man sieht, wie die Skulpturen entstanden sind, die Arbeitsspuren sprechen eine deutliche Sprache. Es dominiert der Eindruck des Unfertigen, des rohen Behauens. Diese Unfertigkeit ist vielleicht auch ein Zeichen der inneren Unruhe von Sieglinde Gros, ihrem Ringen mit dem Werkstück, der Komposition, dem Thema und der Ausarbeitung. Vieles entsteht eben erst im Schaffensprozess und wenn es an einem Stück nicht weitergeht, dann gibt es eben genug andere, die darauf warten weiterentwickelt zu werden. Manchmal braucht es eben auch Zeit, um eine Entscheidung zu fällen. Skulptur verlangt Klarheit in den Entscheidungen und das ist nicht immer mit spontanen Ideen oder mit einem Ausprobieren in Einklang zu bringen.
Die Titel der Arbeiten sind ebenso kurz wie prägnant. In möglichst wenigen Worten umschreiben sie Zustände, Befindlichkeiten oder benennen die Figuren in ihrer gerade stattfinden Tätigkeit: „Verharren“, „Mitgänger“, „Gedankenspiel“, „Zwei am Eck“, „Ent-Bindung“, „Am Meer“ oder „Losgehen“ sind prototypische Beispiele für die Titelgebung von Sieglinde Gros. Sind die Figuren Darsteller oder sind sie Beobachter? Eigentlich sind sie beides oder haben von beidem etwas. Sie stellen etwas dar und sie wirken dabei eher wie Beobachter. Sie wirken durch ihre Titel für den Betrachter wie Denkanstöße, wie manifestierte Gedanken, wie bildgewordene oder besser gesagt wie bildhauerische Zustandsbeschreibungen.
Neben den Einzelfiguren finden sich bei ihr vor allem auch Gruppen, die im Allgemeinen in der Plastik eher selten vorkommen. Zweiergruppen schon, aber Gruppen mit mehreren Figuren sind eher die Ausnahme. Bei Sieglinde Gros sind sie die Regel, in ihrem Werk finden sie sich immer schon. In strenger Staffelung stehen die Figuren dicht beieinander, oft verfließen ihre Rümpfe ineinander und sie scheinen sich aneinander auszurichten. Ihre Blockhaftigkeit lockert sich aber in den unteren Extremitäten in ein lichtes Spiel der Beine, ein Spiel mit Positiv- und Negativformen, d.h. mit plastischen Volumina und mit Leerräumen. Je nach Standpunkt des Betrachters wirkt dies grob durchlässig oder mündet in ein feingliedriges Spiel nebeneinander aufgereihter Beine. Die Köpfe richten sich in unterschiedliche Richtungen aus, ruhig und gelassen scheinen die einzelnen Figuren ihr Aufgehen in der Gruppe als Stärke und kraftvolle Position zu begreifen. Durch die unterschiedliche Höhe der Einzelfiguren kommt Bewegung in die Gruppe, es ist ein organisch wirkender Verlauf, der jeder Figur ihren Platz innerhalb der Gruppe zuweist und zur individuellen Entfaltung bringt.
Als Holzbildhauerin arbeitet Sieglinde Gros in der Regel aus dem vollen Stamm. Sie ist damit auf die Stammgrenze beschränkt, denn ohne extern angesetztes Material ist eine über diese Stammgrenze reichende Formgebung nicht möglich. Außer am Stamm ist noch ein Ast, der in den umgebenden Raum hineinragt und den man in die Komposition integrieren kann. Es bleiben also nur zwei Möglichkeiten: die Torsierung der Figur oder die blockhafte, leicht überlängte Ausgestaltung in strenger geschlossener Komposition. Torsi finden sich kaum bei Sieglinde Gros, ihre Figuren haben „Hand und Fuß“, trotzdem versucht sie immer wieder aus diesem strengen Schema auszubrechen und die Gesamtkomposition aufzulockern. Es entstehen angelagerte Formen, die der Figur einen bestimmten Sinngehalt geben. Das können klar benennbare Gegenstände sein, es können aber auch der Phantasie entlehnte Zufallsformen sein.
Um dies besser herauszuarbeiten und auch kontrastreich abzugrenzen, setzt sie die Farbe im Sinne einer Akzentuierung ein. Die Gleichmäßigkeit der Bearbeitungsspuren und Eigenfarbigkeit der Hölzer wird aufgebrochen und bestimmte Teile werden farbig gefasst und somit hervorgehoben. Je nach zu erzielender Wirkung können auch große Teile der Figur oder aber die ganze Figur bemalt sein, wobei sie sich auf eine Farbe festlegt. Keine bestimmte Farbe wohlgemerkt, aber diese eine Farbe bedeckt durchgängig die Oberfläche. Oft bleiben die tiefer ausgearbeiteten Bearbeitungsspuren dabei unbemalt, es entsteht ein Kontrast zur bemalten Fläche und die Arbeitsspuren werden betont.
Neben den vollplastisch ausgearbeiteten Figuren bzw. Figurengruppen finden sich immer schon Reliefs. Sie sind wie eine Zwischenlösung zwischen Skulptur und Bild, denn mittels eines Flachreliefs lassen sich bilderartige Wirkungen erzielen. Es sind oftmals Wandarbeiten, d.h. sie können wie Bilder an der Wand präsentiert werden. Das andere Ende des Spektrums sind die nahezu vollplastisch ausgearbeiteten Reliefs, wo der Hintergrund die einzelnen Figuren als Bildträger fixiert. Zudem gibt es Werke, wo die Grenze zwischen Skulptur und Relief verwischt, es sind Arbeiten bei denen blockhaft Teile des Stamms als die Figuren hinterfangende Formen stehen bleiben oder aber wie im Falle der Skulptur „Tapetentür“ eine Raumsituation angedeutet wird. Es ist ein erwünschter Gegensatz aus plastischen Volumina und flächenhaften Strukturen. Die Mehransichtigkeit wird hier für eine klare Hauptansicht aufgeben.
Die geschlossene Komposition, das auf sich selbst Bezogene der Figuren, ihr Ausharren und Durchhalten sind wesentliche Bestandteile der Wirkung. Nichts drängt nach vorne oder zur Seite, kein Bewegungsimpuls durchbricht das Verharren, still und geduldig stehen sie da und doch scheint uns ihr innerer Drang, ihr Sendungsbewusstsein klar und deutlich angelegt. Ruhe und Nachdenklichkeit, nicht aktives Handeln, sondern überzeugendes bzw. überzeugtes So-Sein bestimmt ihre Existenz. Unaufgeregt stehen sie da, ihre Präsenz und Wirkmacht kommt von innen heraus, die Oberflächen mit den sichtbaren Arbeitsspuren sind expressiver Ausdruck ihrer inneren Bewegung, ihres inneren Antriebs. In der Ruhe liegt die Kraft und eben diese kraftvolle Ruhe verströmen die Werke von Sieglinde Gros. Eine stille Faszination ist den Werken eigen, unaufgeregt stehen sie da und lassen uns teilhaben an ihrer Wirkung.
Atelier: Einhardspforte 3 – Kellereihof, 64720 Michelstadt