Konstantin Voit – The space between, Städtische Galerie Bad Wimpfen

bis 13.11.2022

Nur zu gerne versuchen wir hinter die Dinge zu schauen, das Gesehene oder Erlebte möchten wir verstehen, weil wir etwas von dem, was uns da gerade widerfahren ist, mit nach Hause nehmen wollen. Im besten Fall gelingt dieser Erkenntnisgewinn, aber wie so oft bleibt doch immer noch ein geheimnisvoller Rest an Unklarheiten, das uns dann beschäftigt, fesselt und dass wir doch so gerne enträtseln möchten. Der österreichische Schriftsteller, Publizist und Lyriker Karl Kraus war ein scharfsinniger Beobachter der Kunst um 1900. In einem seiner Aphorismen hat er angemerkt: „Künstler ist einer, der aus einer Lösung ein Rätsel machen kann.“

Blick in die Ausstellung, im Hintergrund: Thanksgiving, 2015, 100×70 cm

Versuchen wir also dem Rätsel der Kunst von Konstantin Voit ein klein wenig näher zu kommen. The Space Between lautet der Ausstellungstitel in der Städtischen Galerie in Bad Wimpfen, wir sollten also wohl auch zwischen den Zeilen lesen. Ein guter Startpunkt ist die aktuelle Präsentation von wichtigen Stücken des Systems/seines Systems. Die bunte Bilder- und Motivwelt von Konstantin Voit wird durch sein System angetrieben, es umfasst insgesamt 1000 Objekte. Die komprimierte Form daraus benennt er als Kernsystem, eine auf 248 Objekte begrenzte Auswahl aus seinem System. Im Zentrum der Ausstellung stehen ausgesuchte Stücke, das Best of  dieses Kernsystems. Das System ist der Ausgangspunkt von Voits gesamter Kunstproduktion, es besteht neben sehr vielen Zeichnungen in Teilen auch aus alltäglichen Gegenständen: Tipp-Kick-Bälle, Sanduhr, Pendel, Massageball, Gummiente, Postkarte, Magnetwürfel, Brotdose, Perlenuntersetzer, Playmobil-Figur, Pappmaché-Stern, eine Flasche Williams Birnenbrand, Matrjoschka und viele Weitere.  In das System finden aber auch Chiffren, Wörter, Ziffern oder markante Erlebnisse Aufnahme. Alles darin sind Eckpunkte und Relikte seiner Sozialisierung und seines künstlerischen Selbstverständnisses. Jeder trifft hier auch alte Bekannte und so geht es eigentlich auch dem Künstler, nur hat er zu diesen Objekten eine sehr persönliche Beziehung, da sie ihn inspirieren, er sie als prägende Erfahrungen erlebt hat und daher ihre Begleitung nicht mehr missen möchte.

Best of des Kernsystems

Der Präsentationsform seines Systems bzw. des Kernsystems widmet Voit viel Zeit und Aufmerksamkeit, sie ist von großer Bedeutung und kann sehr unterschiedlich ausfallen. Mal werden die einzelnen Bestandteile senkrecht an einer Wand hängend bzw. auf Regalböden präsentiert, mal liegend am Boden in einem akribisch abgemessenen Koordinatensystem zur Schau gestellt. Meist steckt auch hier ein tieferer Sinn dahinter, Zahlen und Zahlenreihen haben es Konstantin Voit angetan und sind ein sinngebender Ankerpunkt für sein Schaffen. Aufgebaut und geschützt in einer Vitrine zeigt Voit sein Best of des Kernsystems dieses Mal auf einer 50er Jahre-Blumenbank – einer sogenannten Etagere, einem recht eigenwilligen Möbelstück, das die Objekte des Sytems wiederum in eine ganz eigene Grundordnung zwingt. So rückt die Matrjoscka beinahe von alleine in den Mittelpunkt der Installation, ihr Prinzip der Verschachtelung ist von zentraler Bedeutung für Voit. Jede Figur hat einen eigenen Maßstab und nur deswegen passen sie ja ganz natürlich ineinander. Immer neue Figuren, die aber keineswegs alle identisch sind, fördert das Auseinanderbauen zu Tage. Voit versteht dieses Matrjoschka-Prinzip als geradezu paradigmatisch für die Entstehung seiner Werke und Serien.

Best of des Kernsystems

Jahrzehntelang hat er die einzelnen Objekte seines Systems zusammengetragen, es ist ein nicht abgeschlossener Vorgang, der bewusst die Erweiterung des Systems impliziert. Das Sammeln liegt ihm im Blut, schon von frühester Jugend an hat ihn das Sammelfieber gepackt. Er besitzt eine einzigartige Sammlung an Schablonen – mit ca. 10.000 Exemplaren die wohl weltweit größte private Sammlung – und auch das Sammeln von Briefmarken und Schallplatten hat schon in seiner Kindheit begonnen. In Ordnern und Kisten verstaut, präzise beschriftet und vor Umwelteinflüssen geschützt, lagern die Sammelobjekte stets griffbereit. Zurzeit arbeitet er intensiv am Aufbau einer Sammlung von Plattencovern, die von Rodney Matthews gestaltet wurden, einem englischen Fantasy-Künstler, Illustrator und Musiker. Ein Beispiel dieser Sammlung hängt im oberen Ausstellungsraum ein Plattencover von Al Jones, das als Briefmarke gestaltet ist. Direkt daneben hängt die im Jahr 2020 entstandene Briefmarken-Edition, die Voit in Bad Wimpfen zum ersten Mal ausstellt.

Al Jones, Jonesville, 1972 (Plattencover)

Die Blumenmotive der Marken folgen streng einer Wohlfahrtsmarkenserie aus den 70er Jahren mit Alpen- und Gartenblumen – eine Hommage an den Grafiker Heinz Schillinger, der die Serie entworfen hat und den Konstantin Voit bewundert und schätzt. Eng an seinem Vorbild orientiert, folgt er einer schablonenhaft-flächigen Stilisierung, jede einzelne Marke lässt sich im Original wiederfinden, aber sie ist – etwa über die persönliche Namensgebung und die Beschriftung – auch mit vielen eigenen Merkmalen von Voit konzipiert und umgesetzt. Momentan sind den Bildern noch die Vornamen seiner Lieblings-Schauspielerinnen eingeschrieben, wer sich zum Kauf eines dieser Bilder entscheidet, kann dann eben selbst vorgeben, welcher Vorname künftig auf dem Bild zu lesen sein wird. 

Anlehnung, Adaption und Neuschaffung halten sich bei der Briefmarken-Edition die Waage. Das Prinzip der seriellen Reihung, das sich hier bei der Briefmarken-Edition zeigt, ist typisch für Konstantin Voit. Er entwickelt aus derselben Bildidee immer neue Ansätze und Lösungen. Dabei startet er von einem bestimmten Ausgangspunkt und kann dann die Farben, Formen oder Zeichen immer wieder anders zusammensetzen. Dieses Prinzip fasst er unter dem Label Malfabrik zusammenfassen, in der die komplex angelegten Acryl-Arbeiten in großer Zahl entstehen. Fast nach Plan oder aber auch auf Wunsch fertigt Konstantin Voit ein neues Bild, das auf einer vorgefertigten Idee basiert und mittels klar benannter Formen und Motive farblich variierend bausteinhaft zusammengesetzt wird.

Schablonenbilder sind seit knapp 30 Jahren Voits eigentlicher Broterwerb. In diesen Arbeiten kombiniert Voit verschiedene Schablonen miteinander, legt sie aus-, über- und ineinander, vergrößert sie und entwickelt auf diese Art unterschiedlichste Bildideen – jedoch nie willkürlich oder intuitiv, sondern immer auf die Ausgangsidee bezogen. Bis heute sind auf der Grundlage des Kernsystems 2.000 Bilder und mehr als 10.000 Bildentwürfe entstanden. Diese Masse an entwickeltem Material ist wiederum einer klaren Systematik unterworfen, die es dem Künstler ermöglicht, dass nicht eine Idee verloren geht. Die unzähligen Dinge, Prinzipien, Gebote und Ideen, die in seine Kunst hineinspielen, verlangen diese Ordnung, andernfalls würden sie sich in Chaos und Formlosigkeit verlieren.

Life, 2021, Durchmesser 75 cm

Das aktuellste Projekt des Künstlers umfasst vier großformatige Scheiben, die ursprünglich für ein Kunst am Bau-Projekt geplant waren. Sie erzählen die Geschichte der Welt beziehungsweise stehen für das, was Leben meint, für das übergeordnete Ganze, das in jedem Menschen verborgen liegt, aber schwer fassbar bleibt. Auf der Suche nach einer universellen Lesbarkeit unserer Weltgeschichte stehen die vier Scheibenwerke für die „Sonne“, „Erde/Mond“, „Welt“ und „Leben“. Von den bisher realisierten zwei, ist in der Ausstellung The space between die Scheibe mit dem Titel „Leben“ zu sehen, ein farbgewaltiger Wirbel zusammengesetzt aus 30 Farben. Hier in Bad Wimpfen ist eine kleine Version mit 75 cm Durchmesser ausgestellt. Die größere Version besteht aus mehr als 60 einzelnen Bildtafeln, die auch vollständig aus ihrer Ordnung herausgelöst werden können, so dass der Wirbel einem Blick durch ein Kaleidoskop gleicht, wie explodierende Lebensenergie, die schönstes Chaos hervorbringt. Aber wohlgemerkt ein Voit-Chaos, d.h. ein geplantes, kontrolliertes, temporäres Chaos, das sich wieder in die ursprüngliche Ordnung zurückführen lässt. Die kleinere Version verzichtet auf das Chaos des Schiebebildes, einem Kinderspiel, bei dem ein wildes Durcheinander durch das senkrechte und waagrechte Verschieben kleiner Täfelchen wieder in eine Ordnung gebracht wird. Die Scheibe wirkt wie eine Verbindung aus Farbkreisen, wie wir sie aus der Kunstgeschichte kennen und aus einem energetisch-spiralförmigen Wirbel, der Verzicht auf das potentielle Chaos lässt sie für sich stehen und wirken. Oder um es mit den Worten des Künstlers zu sagen: The Space Between findet an der Stelle also nicht statt.

http://www.malfabrik.de

Städtische Galerie im Alten Spital, Hauptstr. 45, 74206 Bad Wimpfen

Mo-So 10-12 und 14-17 Uhr, Eintritt frei

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