Susanne Neiss im Gespräch anlässlich ihrer Ausstellung in der städtischen Galerie Rastatt

Im Gespräch mit der Fotokünstlerin Susanne Neiß

Die in Mannheim lebende Fotokünstlerin Susanne Neiß schafft markante, emotional eindringliche und meist abstrakte Fotografien in starker Farbigkeit. Wie einst die impressionistischen Freilichtmaler es mit Pinsel und Leinwand vorlebten, hält sie mit der Kamera außergewöhnliche Lichtstimmungen fest. Dabei wirft sie alte Sehgewohnheiten über Bord und zeigt Ausschnitte aus ungewöhnlichen Blickrichtungen. Teils schwingen surreale Stimmungen mit wie Fetzen von Traumbildern, die man nach dem Aufwachen noch erinnert. Wir haben Susanne Neiß anlässlich ihrer Ausstellung in der Städtischen Galerie Rastatt, die in Kooperation mit der Herbert-Weisenburger-Stiftung entstanden ist und noch bis zum 01.05.2017 zu sehen ist, zum Interview getroffen.

Blick in die Ausstellung, Städtische Galerie Rastatt 2017

KB-MA:
Zur Ausstellung in Rastatt ist ein Katalog erschienen, hauptsächlich mit Arbeiten aus der Serie somewhere. Vor dem Hauptteil des Katalogs sind auch einzelne Fotografien aus anderen Serien zu sehen. Wie stehen diese zueinander in Verbindung?

S. Neiß:
Der Katalog-Titel somewhere bezieht sich auf eine bereits ältere vorhandene Serie – ist aber so offengehalten, dass er auch die Arbeiten aus anderen Serien einschließen kann. Für den Katalog habe ich darum einerseits neuere Arbeiten ausgesucht, die für sich alleine stehen, andererseits aber auch wie das Themenbild der jeweiligen Serie verstanden werden können, der sie angehören. Und es sind für mich die prägnantesten Arbeiten daraus, die sich auch farblich und ästhetisch gut in die Serie somewhere einfügen, oder ihr vorangestellt werden können.

KB-MA:
Was subsummierst Du inhaltlich unter dem Titel somewhere?

S. Neiß:
Man kann sagen, darunter fasse ich Bildkompositionen, die vollkommen losgelöst vom Ort der Aufnahme funktionieren und somit Bilder, die so gut wie überall oder eben irgendwo entstanden sein könnten. Da will ich auch dem Betrachter große Freiheit lassen – er darf durchaus selbst interpretieren, was er sieht und natürlich auch, ob er damit einen Ort oder eine eigene Empfindung assoziiert.

KB-MA:
Du arbeitest ja generell in Serien. Inzwischen gibt es rund 16 Serien mit jeweils etwa 10 Bildern. Gibt es eine Serie, die Dir besonders am Herzen liegt?

S. Neiß:
Eigentlich nicht. Jede Serie hat für mich eine andere Bedeutung, weil es Serien gab, die für mich persönlich schwierigere Themen hatten als andere. Damit hat jede Serie ihren ganz eigenen Stellenwert. Es gibt aber Serien, mit denen ich mich innerlich besonders gerne beschäftige. Zum Beispiel mit der Serie ysland, weil das Thema der Verwandlung hier vielleicht besonders deutlich wird. Das Versteinerte, Bedrohliche – ein zerschossenes Fort, ein Unfallwagen, ein versteinerter Schuh. Aber auch an das Vogelbild aus der Serie Alice denke ich sehr gerne, weil  das ebenfalls ein wiederkehrendes Traummotiv ist. Mit der bewussten Wahrnehmung der Bilder, gewinne ich oft mehr emotionale Klarheit.

KB-MA:
Wieso hast Du Dich für die Arbeiten entschieden, die jetzt in Rastatt zu sehen sind?

S. Neiß:
Ich habe die ausgewählten Arbeiten  noch nicht oft gezeigt – insbesondere nicht auf so großzügige Weise, wie in der aktuellen Ausstellung. Die Räume der städtischen Galerie Rastatt bieten viel Platz und Luft auch für große Formate. Ich hatte zum Beispiel jetzt die Gelegenheit vier Bilder eines Motivs aus einer Serie nebeneinander zu hängen. Es hat wirklich Spaß gemacht festzustellen, dass sich durch gute Möglichkeiten der Hängung auch neue Bezüge untereinander ergeben. Insgesamt ist es eine Mischung aus eher meditativen Bildern und konkreteren, die eine Geschichte erzählen können und sich zwischen Zeigen und Verbergen bewegen.

KB-MA:
Generell arbeitest Du mit dem Prinzip der Verfremdung bzw. Abstrahierung eines Motivs – nur selten ist für den Betrachter noch erkennbar, worauf Du die Kamera gerichtet hast. Das gelingt mit unterscheidlichen fotografischen Techniken. Entscheidend aber ist, dass die Fotos nicht am Computer ihre Metamorphose erfahren, sondern durch die Kamera. Wie kann man sich das vorstellen?

S. Neiß:
Prinzipiell bearbeite ich meine Fotos am Computer nicht nach, zumal ich ja analog fotografiere und nicht digital und auch nicht mit Filtern. Ich arbeite viel mit Belichtungszeiten und da häufig mit Langzeitbelichtung.  Auch das bewusste Verwackeln ist eine Technik oder ich fotografiere gegen das Licht. Es ist aber tatsächlich gar nicht so sehr die Technik, die zum Ergebnis führt, sondern vielmehr der Blick, das Sehen, meine Wahrnehmung bzw. die Fokussierung auf einen Ausschnitt aus unserer Umgebung, Umwelt und Natur. Und das ist meine eigentliche Herausforderung – mit dieser veränderten Wahrnehmung raus zu gehen und Motive zu sehen. Bei dem ganzen Prozess ist es wichtig, was ich fühle und dass ich im Kontakt zu mir selbst stehe – wie in einer Art Meditation des Sehens. Ich verfolge auch einen neuen Ansatz, bei dem ich in verschiedenen Schritten die Fotos mit malerischen Elementen kombiniere, die gehen dann bewusst weg von der reinen Fotografie.

KB-MA:
Ist das dann eine lange Suche oder passiert es auch, dass ein Motiv schnell da ist?

S. Neiß:
Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Tage, da nehme ich mir vor einen bestimmten Ort aufzusuchen. Da kann ich dann schon mal lange unterwegs sein, bis für mich etwas passiert, das ich mit der Kamera festhalten will. Beim Baumschattenbild zum Beispiel war ich in Barcelona mit einem Bus unterwegs und sah aus dem Bus heraus diesen außergewöhnlichen Schatten. Und dann bin ich am nächsten Tag zur gleichen Uhrzeit zu Fuß an diesen Ort zurückgekehrt in der Hoffnung, dieselbe Lichtstimmung anzutreffen, was auch gelungen ist. Es kann aber auch passieren, dass auf dem Weg zu einem bestimmten Ort mein Motiv völlig unerwartet und schnell auftaucht. So ist es mir zum Beispiel bei dem Bild der mit roten Kachel so gegangen. Da war ich gerade zur Tür raus und da war sie dann schon da. Und keine 50 Meter weiter kam dann das nächste Motiv in Form eines blauen Autos und der Lichtreflektion im Lack.

KB-MA:
Du tauchst dann regelrecht ein in eine andere Bildwelt bzw. erschaffst eine ganz andere, teils surreale Welt?

S. Neiß:
Ja und nein. Die Welt ist ja da, diese kann ich ja nicht erschaffen. Aber natürlich entsteht durch Licht und die Entscheidung für einen Bildausschnitt in Verbindung mit Belichtungszeit oder Blickrichtung scheinbar etwas Neues, Anderes. Ganz besonders in meinen Fotos, in denen ich mich Spiegelungen und Reflektionen von Licht auf Wasser und Glasscheiben widme.

KB-MA:
Erkennst Du denn in dem Moment schon, dass das Foto auch genauso wird, wie Du den Ausschnitt siehst oder wahrnimmst?

S. Neiß:
Meistens habe ich schon ein Gespür dafür, ob ein Motiv die Wirkung auch auf der Fotografie erzielt, die das Motiv auf mich ausgeübt hat. Das mache ich auch daran fest, dass ich bei allen Bildern, die ich veröffentliche, mir der Moment und der Ort der Aufnahme noch immer sehr präsent sind.

KB-MA:
Deine Bilder haben ja keine Titel, sondern firmieren eigentlich nur unter dem Serientitel. Heißt das, es ist nicht wichtig, dass der Betrachter erkennt, worauf Du die Kamera gerichtet hast?

S. Neiß:
Für mich ist es tatsächlich bei vielen Arbeiten nicht mehr wichtig, dass das Motiv zu erkennen ist, verstehe aber, dass ein Betrachter sich natürlich als erstes immer die Frage stellt was sehe ich da eigentlich. Diese Frage darf mir natürlich jeder, den es interessiert, stellen. Meine Fotografie folgt ja nicht dem Motiv der bewussten Verschleierung oder Verfremdung, sondern einer bewussten Form des Sehens. Ich fotografiere ein Motiv so, wie ich es in dem Moment sehe und wahrnehme. Und ich möchte den Betrachter durchaus daran teilhaben lassen auf meine Weise zu sehen und ihn damit vielleicht sogar zu motivieren die eigene Wahrnehmung zu überprüfen. Denn diese ist nicht in Beton gegossen, sondern durchaus veränderbar.

KB-MA:
Ungeachtet dessen, musst Du aber schon auch die Technik der Fotografie beherrschen, um zu wissen, welche Effekt Du mit welcher Belichtung erzielst bzw. wie Du eine Lichtstimmung so einfängst, wie Du sie gerade siehst?

S. Neiß:
Ja natürlich ist das wichtig. Gerade bei Gegenlichtaufnahmen hilft das Wissen, damit die Bilder nicht zu hell werden und ihre Farbigkeit behalten.

KB-MA:
Wie war das denn bei diesen eher sehr grafisch, geometrisch wirkenden Fotografien, die auch in Rastatt zu sehen sind. Diese fallen auf den ersten Blick vollkommen heraus aus Deiner sonst sehr impressionistisch anmutenden Motivwelt?

S. Neiß:
Ja das stimmt, sie fallen auf den ersten Blick heraus, weil sie extrem abstrakt sind. Aber sie passen deshalb in die Serie, weil ich mich hier dem Motiv Türen und Fenster und dem damit einhergehenden Thema von innen nach außen bzw. außen nach innen beschäftigt habe. Das ist eigentlich das zentrale Motiv der Serie somewhere. In vielen Fällen dieser Serie fotografiere ich in Fenster oder durch Türen, Glasscheiben, Vorhänge und das ist immer mit dem Blick von innen nach außen oder umgekehrt verknüpft. Diese drei grafisch anmutenden Fotos zeigen tatsächlich den Blick durch eine große Fensterscheibe in ein Museum.

 

KB-MA:
Die Titel Deiner Serien – wie entstehen sie? Entstehen sie hinterher?

S. Neiß:
Das ist unterschiedlich. Meistens aber hinterher, sie entstehen nie im Vorfeld. Und es hängt ganz viel damit zusammen, wie ich die Serien zusammenstelle. Meistens stelle ich Bilder aus verschiedenen Zeiten zusammen – außer tatsächlich bei somewhere. Da hat sich das so gefügt. Die meisten Serien funktionieren erzählerisch. Und bis die Geschichte erzählt ist, schiebe ich tatsächlich relativ lange Bilder hin und her und tausche immer wieder Bilder aus. Im Zuge dieses Prozesses kommt dann irgendwann auch ein Titel.

KB-MA:
Und arbeitest Du denn gerade an einem neuen Titel?

S. Neiß:
An einer neuen Serie, ja, die ist sogar schon fast fertig, sie wird immer nochmal ein bisschen geändert.

KB-MA:
Und der Titel?

S. Neiß:
Es gibt bis jetzt nur einen Arbeitstitel – lasst Euch überraschen, auch weil noch nicht klar ist, wann ich sie veröffentliche.  Zuvor würde ich aber sehr gerne meine aktuelle Serie Blow zeigen, da ich aus dieser Serie noch nicht viel Bilder gezeigt habe.

KB-MA:
Ok. Wir werden berichten, wenn es soweit ist. Vielen Dank für das Gespräch.

Infos unter :
www.susanne-neiss.de

© für Porträtaufnahme: Yoshi Toscani

Infos zur Ausstellung:
Susanne Neiß – Fotografien
Ausstellung in der Städtischen Galerie Fruchthalle, Rastatt
02. Februar bis 01.Mai 2017
Kaiserstraße 48, 76437 Rastatt

Öffnungszeiten:
Donnerstag bis Samstag
12-17 Uhr
Sonntag und an Feiertagen
11-17 Uhr

Tel. Terminvereinbarung unter
0 72 22. 9 72-84 10  Mi – Fr 10-17 Uhr

INFO: Die Künstlerin ist So, den 2.4.2017 ab 13:00 Uhr anwesend

One comment

  • Liebe Susanne, ich finde es beeindruckend, wie du Träume, Meditation und Alltägliches in deinen Arbeiten verbindest und Betrachter*innen so mit einer anderen Wirklichkeit konfrontierst. Danke fuer das Interview, das mir neben den Exponaten einen ersten Eindruck in dein Schaffen gegeben hat.

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